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Zu zweit gehen – oder zu weit gehen?

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Zu zweit gehen – oder zu weit gehen?

Notes from Outside
/Ausgabe 13

Zu zweit gehen – oder zu weit gehen?

Nic Hardy
/Lesezeit: 5 Minuten

Es gibt viele Situationen, die eine Beziehung auf harte Proben stellen können. Im Idealfall entsteht daraus eine noch tiefere Bindung. Was den meisten aber glücklicherweise erspart bleibt, ist, durch eine unüberlegte Entscheidung zusammen in echte, physische Gefahr zu geraten. Notes from Outside Ausgabe 13 bietet diesmal echte Spannung(en): Für Nic und ihren Partner James war ihre einmonatige Wandertour durch die Schweizer Alpen mehr als eine körperliche Prüfung, sie war ein entscheidender Weg in Ihre Zukunft als Paar. Würden Sie es zwischen Anstrengungen, Abgeschlagenheit und Augenblicken der Angst schaffen, Ihr Abenteuer ohne größere Auseinandersetzungen zu überstehen? Ich sag’ mal nichts, außer: viel Spaß beim Lesen. Und schau dir gern auch die Collection an, falls dieses Abenteuer auf deiner Bucket-List für den Sommer steht. Stephanie Dietze Chefredakteurin Notes from Outside

Catherine

Chefredakteurin Notes from Outside

Ich fing an zu rennen und musste loslachen – mehr so ein kindliches Glucksen, tief unten im Hals – während ich über das Plateau hüpfte. Plötzlich schien auch mein Rucksack nicht mehr so schwer zu sein. Ich drehte mich um und sah nur, wie James den Kopf schüttelte und lächelte.

Es war der 25. Tag unserer einmonatigen Wanderung auf dem Schweizer Alpenpässe-Weg. 700 harte Kilometer mit insgesamt 38.000 Metern Aufstieg lagen schon hinter uns. Entweder hatte ich jetzt endlich meinen Wander-Rhythmus gefunden oder war von der Dauermarschiererei plemplem geworden. Auf jeden Fall fühlte ich mich genau in diesem Moment wie auf dem Gipfel der Welt.

Wir näherten uns dem Alp Catogne. Rechts von uns erstreckte sich das schmale Tal von Le Châtelard, auf der anderen Seite schimmerten das milchig türkisfarbenen Wasser des Lac d’Emosson. Eine wirklich atemberaubende Aussicht, aber trotzdem nicht mein absolutes Highlight der Reise. Keine Ahnung also, warum ich mich ausgerechnet in diesem Moment entschloss, alle Ängste loszulassen und mich völlig dem Wanderweg hinzugeben.

Früher am Morgen hatte ich in meiner Spotify-Playlist Simon Webbes 2006er Smash-Hit, „Coming Around Again“, wiederentdeckt. Ich suchte nach motivierenden Songs, um mich durch den Tag zu bringen. Es war kitschig und es war auch bereits 17 Jahre her, seit das Lied veröffentlicht wurde, aber mein 22-jähriges ich konnte sich noch an alle Textzeilen erinnern. Ich bin mir zu 99 % sicher, dass Simon Webbe damals nicht an eine Alpenwanderung dachte – aber es gab mir an diesem Tag definitiv einen echten Schub.

Aber, der Reihe nach. Beginnen wir bei Tag eins dieses Abenteuers, an dem wir Hand in Hand am Ausgangspunkt des Alpenpässe-Wegs (Schweizer Nationalwanderweg 6) standen.

Ich war nervös – eine derart lange Wanderung hatte ich noch nie unternommen. Unser Ziel war es, die 43 Abschnitte des Wegs innerhalb von 31 Tagen zu absolvieren. Während mein Freund James, ein absoluter Wanderathlet mit 10 Bestzeiten auf dem Konto, sich voll in seinem Element fühlte, war es für mich eher eine beängstigende Vorstellung. Optimistisch gesehen, wäre diese Tour für uns eine tolle Chance auf viele wundervolle Erinnerungen gewesen: Wir, Hand in Hand durch blühende Alpenwiesen spazierend, unsere Liebe feiernd, die Zeit unseres Lebens genießend. Doch stattdessen quälte mich die Angst, dass ich zu langsam für James sein könnte, dass er ungeduldig würde und dass es keine Gelegenheit geben würde, sich in unseren schlechtesten Momenten zurückzuziehen. Und als Krönung des Ganzen wären wir auch noch beide verschwitzt, müde und gereizt. 

Würde unser beider Geduld reichen, den Monat zu überstehen und einigermaßen unbeschadet ans Ziel zu gelangen?

Nach ein paar Tagen „Eingewöhnung“ fanden wir in unseren Wander-Rhythmus: Jeden Morgen weckte uns der Sonnenaufgang, indem er unser Zelt erleuchtete – dann reckten und streckten wir uns und machten uns auf den Weg. Zu gern würde ich von vielen tiefgründigen Wander-Gesprächen über vergangene Erlebnisse und Zukunftsträume erzählen, aber meist drehte sich alles allein um die Frage, welche Lebensmittel wir im nächsten Supermarkt kaufen würden. Es ging im Wesentlichen um die warme Brühwurst, die wir bei jedem Stadtbesuch erneut verpassten, oder darum, ob es noch die kleinen, superpraktischen Thomy-Mayonnaise-Tuben gäbe, oder wie viel Pfirsich-Eistee wir in einem Zug trinken könnten. Und natürlich um Käse – immer wieder Käse.

In den technisch anspruchsvolleren Abschnitten wurde ich sehr ruhig – und James wusste: Ich hatte Angst. Er verlangsamte sein Tempo und half mir, die Schwierigkeiten zu bewältigen. Gemeinsam schafften wir es dann. Ganz ähnlich erging es dann James, als die Gewitter aufzogen: Auch seine Angst war offensichtlich, man sah es unschwer an seinen weiten Pupillen. Als jemand, der sich überwiegend auf Statistiken verlässt, machte ich mir weniger Sorgen: Seit Jahrhunderten lebten und arbeiteten Menschen schon in diesen Bergen – die Wahrscheinlichkeit, vom Blitz getroffen zu werden, war wirklich gering. Ganz gleich aus welchem Grund – körperlich oder mental – wir waren uns einig, uns immer nach dem Tempo der Person zu richten, die gerade Schwierigkeiten hatte.

Aber was macht man, wenn beide kämpfen? Nun, die Antwort auf diese Frage brachte uns Tag 28: Im strömenden Regen verließen wir unsere Berghütte am Lac de Salanfe im vollsten Vertrauen auf die Wettervorhersage: In den nächsten zwei Stunden sollte es nachlassen.

Wir marschierten los, entlang eines flachen Abschnitts am See, bevor wir abzweigten, um weiter oben den Pass zu erreichen. Unser Tempo stockte und wir ernteten ein paar sehr kritische Blicke von den Kühen, die sich zweifellos fragten, was zur Hölle wir dort machten. Als wir ein Drittel des Wegs zum Pass hinauf waren, hatte die Sicht stark abgenommen. Aus dem Regen wurde Schnee.

Nach und nach wurden die Flocken dichter und der Schnee fest und überraschend tief. Die Landschaft verwandelte sich in ein undurchdringliches Weiß – hätte es nicht die auffälligen roten Wegmarkierungen gegeben, wir wären verloren gewesen. Der Untergrund fiel hier ziemlich steil von rechts nach links ab; ein falscher Tritt und wir wären beide bergab gerutscht – ohne einen Eispickel, um den Sturz zu bremsen.

Mein Herz pochte wie wild. Wir hielten an, um uns zu besprechen. Auf einem langen, geraden Fernwanderweg umkehren? Eigentlich ja etwas, das man ungern macht. Wir sollten vorwärts gehen – nicht rückwärts. Außerdem waren nur noch vier Tage unseres Wanderabenteuers übrig. Und auch die Rückflüge waren ja gebucht. Viele gute Gründe fürs Weitergehen – wir waren beide frustriert von unserer Situation und vielleicht würde es hinter der nächsten Ecke besser werden. Also setzten wir unseren Weg fort.

Doch schon nach zwanzig Minuten wurde klar, dass wir nicht weitergehen konnten, nur: Niemand wollte diese Entscheidung treffen. James spürte, wie sich der Boden unter ihm bewegte, die Angst war ihm ins Gesicht geschrieben. „Eigentlich hätten wir schon vor 200 Metern umkehren sollen – wir sollten hier gar nicht sein“, sagte er verzweifelt. „Nun gut, dann kehren wir jetzt eben um!“, erwiderte ich angespannt. Aber er bewegte sich nicht. Keiner von uns beiden wollte weitergehen. Aber auch keiner wollte zurück.

Wir verharrten einen langen Augenblick, verängstigt, enttäuscht, und im Bewusstsein, dass wir beim Umkehren, den Pfad, sprich unser großes Abenteuer, nicht zu Ende führen würden. Allerdings spürten wir auch eine Verantwortung füreinander. Und vor allem verspürte ich den Drang, einen neuen Plan zu schmieden und in die Tat umzusetzen. So entschieden wir uns, umzukehren.

Wieder zurück in der sicheren Hütte fanden wir erstmal ein wenig Trost bei einer Tasse Pfefferminztee und entschuldigten uns beide für unsere Ausbrüche. Für gewöhnlich bringen sich Paare gar nicht erst in Situationen, in denen eine dumme Entscheidung den anderen in ernste Gefahr bringen könnte. Es war eine Prüfung, der sich die meisten nie stellen müssen. Aber jetzt waren wir in Sicherheit. Zwar würden wir unseren Weg durch das Tal ganz neu planen müssen, aber gemeinsam würden wir auch diese Herausforderung annehmen – als Teil unseres Abenteuers.

Im Rückblick haben wir einen guten Teil der Zeit im Zelt geschlafen und waren glücklicherweise von Verletzungen verschont geblieben. Selbst schrecklichstes Wetter machte uns keine Angst mehr. Außerdem fühlte ich mich fitter und mental stärker als je zuvor. Ich wollte nicht, dass dieses Abenteuer schon vorbei war. Als wir an jenem 30. Abend bei einem epischen Sonnenuntergang draußen vor dem Zelt saßen, wurde mir klar, wie weit wir seit dem ersten Tag gekommen waren. Als Individuen und als Paar. Im Laufe der Wanderung hatten wir uns angewöhnt, jeden Tag mit einem „Moment der Besinnung“ zu beenden: Den Blick auf die Aussicht richten, die Brise im Gesicht und das Gras zwischen den Fingern spüren, dem Rauschen des Baches oder dem Vogelgezwitscher lauschen, tief einatmen – und dankbar sein. Ich war dankbar für diesen Weg, dankbar für all den Käse und dankbar für James.

Words and photos by Nic Hardy

Nic Hardy ist eine Abenteurerin aus Sheffield, Großbritannien – nach über einem Jahrzehnt in der behördlichen IT-Verwaltung, entschied sie sich, ihren Job zu kündigen, ihr Haus zu verkaufen und ein Leben als Abenteurerin und Outdoor-Schriftstellerin zu beginnen. 

Seitdem hat sie den Gipfel des Kilimandscharo erklommen und ist im M'Goun-Gebiet des Atlasgebirges gewandert, hat in abgelegenen Gegenden wie dem äußersten Nordwesten Schottlands alleine wild gecampt und unzählige mehrtägige Wanderungen in ganz Europa und daheim in England gemeistert.

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